Darabos kümmert sich nicht um das Heer
Milizbrigadier Bittner über einen Verteidigungsminister, der das Heer nicht kennt und von seinem Umfeld schlecht beraten wird, und das nicht mehr feldverwendungstaugliche Österreichische Bundesheerg
Herr Brigadier Bittner, welche Aufgaben hatten Sie als Leiter der Arbeitsgruppe „AG-Miliz 2010“(allgemeine Aufgabe der AG: siehe rechte Seite) und wie sah das Konzept bezüglich der „Miliz 2010“ aus?
Brigardier Werner Bittner: Meine Hauptarbeit lag im gründlichen Studium aller Weisungen und Ausarbeitung der AG-Vorschläge sowie im Koordinieren und Zusammenhalten. Dazu zahllose Gespräche mit Ressortvertretern bis zu den Sozialpartnern, Vorträge, Korrespondenz mit Briefen und Mails im Zusammenhang mit diversesten Fragen und Hilferufen aus der Miliz. Während der ersten drei Monate war das ein „full time job“, selbst in weiterer Folge fielen noch mindestens 20 Stunden pro Woche an – ohne Reisezeiten. Das alles um Gottes Lohn, um völlig unabhängig zu sein, und nur weil ich auch noch im 47. Milizdienstjahr von der Wichtigkeit der Miliz für bestimmte Aufgaben und von ihrem gesellschaftspolitischen Wert überzeugt bin. Mein Rücktritt wurde zuerst in den „Salzburger Nachrichten“ kurz gemeldet und darauf kam dann „Die Presse“ sowie der ORF. Natürlich wurde mein Rücktritt auch anderwertig, meist ungefragt, „verbraten“. Seitdem gibt es übrigens keinen veröffentlichten Originalkommentar zu meinem Rücktritt von mir.
Warum haben Sie ihre Funktion als Leiter der „AG-Miliz 2010“ nun eigentlich niedergelegt?
Bittner: Die Funktion habe ich nicht zurückgelegt, weil Bundesminister Darabos seine Teilnahme an der ersten AG- Sitzung, nach der Wahl Anfang April, kurz vor Beginn der Sitzung absagte, wie man fälschlich schrieb. Vielmehr blieben diverse Mails an den Kabinettschef und direkt an den Bundesminister mit Bitte um einen Ersatztermin bis heute unbeantwortet. Das alles mit sehr deutlichen Signalen, daß die „AG-Miliz 2010“ als Arbeitsplattform nicht mehr erwünscht ist. Die AG hat durch ihre breite Anlage nachweislich 3 Jahre lang eine sehr konstruktive und erfolgreiche Plattform ergeben und dadurch auch „Sensationsmeldungen“ in der Presse hintangehalten. Scharfen Meinungsaustausch gab es natürlich intern immer wieder, und der damals zuständige Bundesminister Platter war oft konsterniert und ungehalten, aber immer gesprächsbereit im Sinne der Sache. Über den Kabinettschef wurde Platters Nachfolger, Herrn Darabos, eine unveränderte Zusammenarbeit angeboten sowie eine vorbehaltlose Unterstützung bei seiner zu erwartenden und sehr notwendigen „Eröffnungsbilanz“. Es gab aber nie eine Antwort. Bis heute nicht! Wobei wir heute berechtigt zweifeln, daß der Bundesminister vollinhaltlich und fair von seinem Umfeld informiert wurde.
Sie zweifeln daran, daß der Bundesminister von seinem Umfeld in Sachen Miliz vollinhaltlich informiert wurde? Wer blockt hier, und welche Interessen stehen dahinter?
Bittner: Es gibt selbstverständlich starke Kräfte im ÖBH, die die richtige
d. h. strukturierte Miliz ablehnen und nur die von ihnen als zur „Auffüllung“ der präsenten Verbände notwendigen Soldaten auch als Miliz bezeichnen, um überhaupt noch blumig von einer sprechen zu können. Eines der Grundübel ist, daß einige „Retortengeneräle“ jedes Gefühl für die Truppe „draußen“ verloren haben und deren Entfall in ihren prächtigen Büros vermutlich erst nach langer Zeit bemerken würden. Ein Minister, der das Heer nicht kennt – wir hatten schon zu viele davon bisher –, ist auf Zuarbeitungen und Beratungen angewiesen. Wenn diese einseitig und gezielt erfolgen, geht der Minister fehl. GenLt Entacher und einige andere Truppen- und Milizkenner wären profunde Kenner der Materie, wurden aber sicher kaum, zu wenig oder zu spät konsultiert. Viele Stimmen sind wegen der engen „Maulkörbe“ und Drohungen verstummt. Schreibt jemand in einer Truppenzeitung die täglich erlebte Wahrheit, kommt sofort zumindest der Rüffel aus der Zentralstelle. Das ist eine der wenigen Aktionen, die heute ohne Verzug funktionieren! Natürlich spielt auch die Verfügbarkeit des BM und die Funktion seines unmittelbaren Stabes/Büros eine große Rolle. Wenn persönliche Briefe monatelang nicht beantwortet werden, stellen sich manche Fragen. Zensur wird es ja wohl nicht sein.
Welche Unterschiede bestehen zwischen den Vorstellungen des ehemaligen Ministers Platter und des jetzigen Ministers Darabos? Haben nicht bereits die Maßnahmen Platters, – Verkürzung des Präsenzdienstes, Aussetzung der Übungen, Reduktion der Verbände usw. – zu der schwierigen Situation beigetragen, mit der die Miliz heute kämpfen muß?
Bittner: Zunächst das eine: Wir haben in unseren Briefen nie das Problem Eurofighter herangezogen. Wir haben stets betont, daß die Hauptprobleme von heute zu 99 Prozent auf ein fürchterliches Erbe zurückzuführen sind. Die undifferenzierte und allgemeine Abschaffung der Truppenübungen haben wir schon immer massiv kritisiert und die Wehrdiestverkürzung auf 6 Monate + Null – entgegen den Empfehlungen der „BHRK“ – parallel zum Grenzsicherungseinsatz als schwersten Fehler bezeichnet. Ein systemschädigendes, ungelutschtes Wahlzuckerl mit nachhaltigem Schaden für das Heer. Daraus resultieren viele Lähmungen des Heeres mit allen Folgeschäden. Einen direkten Gedankenaustausch des nunmehrigen BM mit „seinem“ Beratungsorgan, der AG Miliz 2010, gab es leider bisher noch nicht. Es ist zu hoffen, daß nun der BM sich auch den substanziellen Problemen des Heeres zuwendet und nicht ausschließlich dem Eurofighter, wie in den ersten vier Monaten seiner Dienstzeit.
Welche Vorstellungen bezüglich einer funktionierenden Miliz in Kombination mit einer Modernisierung der aktiven Truppe hatten Sie persönlich?
Bittner: Die „BHRK“ hat ein Budget von 1 Prozent des BIP inflationsbereinigt und eine Milliarde aus Liegenschaftsverkäufen als Voraussetzung zur erfolgreichen Reform genannt. Nur, wo sind wir jetzt? Das Budget ist real geringer, dazu kommen die Kosten für den Eurofighter. Der Mangel an Gruppenkommandanten ist unglaublich. Es fehlt an Kfz und Sondergeräten, Ausbildungsinhalte entfallen wegen Geldmangels, dazu Personalaufnahmestopp und Überstundenstreichungen. Mit Verlaub, bei diesen Voraussetzungen der Ausbildung erreicht kein Grundwehrdiener mehr die Feldverwendungsfähigkeit! Dazu kommt, daß wir im Katastrophenfall niemals die erforderlichen Kräfte zusammenbringen. Das wird noch ein „Super-GAU“, denn die permanente und völlige Beherrschung der Inlandsaufgaben ist das Akzeptanzkriterium für das gesamte Heer in den Augen der Bevölkerung. Die „selbststrukturierte Miliz“ ist hier noch eine mögliche Rettung um wenig Geld, da sie nur anlaßbezogen aufzubieten ist. Aber, nur wenn sie demnächst wieder mit der Volltruppe üben kann, richtig ausgerüstet wird und den notwendigen Nachwuchs gesichert bekommt, kann sie überleben und stufenweise wieder auch zur alarmierbaren Truppe werden, die zumindest nach dem „Aufbrauchen der Blaulichtorganisationen“ und der ersten präsenten Kräfte für Unterstützung und Nachhaltigkeit sorgen kann.
Herr Brigardier, Sie sprechen gerade davon, daß derzeit das ÖBH keine Soldaten auszubilden imstande ist, die „feldverwendungsfähig“ sind, und daß das ÖBH auch für nationale Katastrophenfälle nicht gerüstet ist! Es stellt sich die Frage: kann derzeit das ÖBH überhaupt seinen verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen?
Bittner: Schon seit einigen Jahren ist die Erreichung der Feldverwendungsfähigkeit beim ÖBH kaum gegeben. Jetzt mit 6 + Null und dem Grenzeinsatz gleichzeitig schon gar nicht mehr! Das war ja der Grund, warum die „BHRK“ unter Zilk das ausschloß! Auch die verbleibende Zeit nach dem Grenzeinsatz ist zu kurz für eine notwendige waffeneigene und waffenspezifische Ausbildung. Der österreichische Präsenzdiener wurde zum schlecht ausgebildeten Einweg-Wegwerfsoldaten, der zur Verbilligung das Grenzeinsatzes mißbraucht wird. Auch der Anteil der sogenannten Systemerhalter ist nicht in Relation zur Schrumpfung des Heeres gesunken. Für Assistenzeinsätze, auch in solch geringen Dimension wie damals im Kamptal, hat unser Heer nicht mehr genug präsente Kräfte verfügbar! Das wird mit dem zunehmend verringerten GWD-Aufkommen noch schlechter werden. Dazu kommt noch ein stärkerer Zulauf zum Zivildienst (bald gleiche Dienstzeit und Dienst im näheren Umkreis des Wohnortes). So wird das Heer richtiggehend ausgehungert. Die Meldungen für Auslandseinsätze gehen jetzt schon zurück, die schwindende Miliz wird diese Einsätze bald in entscheidende Schwierigkeiten bringen, da ohne die Miliz auch im Ausland nichts geht. Was die Verfassung betrifft: Streng genommen entspricht unser Heer in seiner Struktur nicht mehr der Verfassung!
Letztendlich trägt der Bundesminister für diese Zustände beim ÖBH die Verantwortung. Sein Auftrag wäre es, die Mittel, Gelder und Strukturen zu gewährleisten, die dem ÖBH das Erfüllen seiner Pflichten ermöglichen. Wenn Minister Darabos hier versagt, ist er da im Sinne der nationalen Sicherheit eigentlich nicht rücktrittsreif?
Bittner: Einerseits versuche ich immer, mit Fachkenntnis und Fakten, aber ohne persönliche Angriffe oder gar Untergriffe zu kommentieren. Andererseits sind die derzeitigen Hauptprobleme des Heeres mit Masse Folgewirkungen von dramatischen Fehlentscheidungen von vor dem Amtsantritt des Bundesminister Darabos. Vor vielen Jahren gab es einen Landesverteidigungsplan, der nie umgesetzt wurde. Wer trat damals zurück? Wir haben nun einmal weder die Auswahlkriterien der Privatwirtschaft noch die dort üblichen „Notbremsen“ oder gar echten Verantwortungen mit Konsquenzen. Unser Staat macht trotz boomender Wirtschaft und sinkender Arbeitslosigkeit d. h. unter den bestmöglichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer noch eine negative Bilanz zu Lasten unserer und vor allem unserer Kinder Zukunft! In der echten Wirschaft fliegt da der ganze Vorstand! BM Darabos hat den unsäglichen Fehler, gemacht sich anfangs zuwenig um die existenzbedrohenden Probleme des Heeres gekümmert und nach 100 Tagen keine Eröffnungsbilanz gelegt zu haben. Statt dessen beten Ressortvetreter alles gesund und bestreiten auftragsgemäß (?), daß es überhaupt Probleme gibt. Damit erbt Darabos alles und steht bei dem politischen Kurzzeitgedächtnis bald als Alleinschuldiger da. Das wird der Torpedo mittschiffs in maximal ein bis drei Jahren! Übrigens, sein Vorgänger Platter hat schon bei seinem Abgang wörtlich gesagt: „Das ÖBH wird Assistenzleistungen nicht mehr so erbringen können wie es die Bevölkerung bisher gewohnt war!“ Das war die leise Andeutung der kommenden großen Pleiten.
Mit welchem budgetären Aufwand könnte ein Konzept der strukturierten Miliz umgesetzt werden?
Bittner: Diese Frage ist von der erwünschten Konstruktion abhängig. Bauen wir wie in Deutschland (80.000 Mitarbeiter) zum zu schwachen Heer auch ein THW (Technisches Hilfswerk, bietet zivile Katastropheneinsatzkräfte) auf, oder wenden wir etwas Geld für die bisherige bewährte Konstruktion auf? Wieviel an Fixkosten widmen wir präsenten Kräften für die turnusmäßigen Auslandseinsätze? Personal ist für diese Einsätze – vor allem, wenn älter als 45 – sehr teuer. Der Staat wird zunehmend für diese Aufgaben (Überalterung) mehr Geld aufwenden müssen. Woher soll das kommen? Somit ist das dumme Gerede vom Heer mit „einer Geschwindigkeit“ kontraproduktiv und das vom Berufsheer blanker Unsinn, wenn man die Gesamtzusammenhänge betrachtet. Das Heer entsendet bereits super ausgebildete und natürlich die teuersten Kräfte an die Grenze, weil wir zuwenige Soldaten haben! Ist das der richtige sparsame Weg? Ohne Zivildienst würden viele Fürsorgesysteme zusammenbrechen! Wir brauchen also kostengünstige und flexible Systeme für bestimmte und genau definierte Aufgaben. Gleichzeitig erhalten wir den gesellschaftspolitischen positiven Effekt und die doch beachtliche Akzeptanz des ÖBH in der Bevölkerung sowie die Einstellung der Staatsbürger zum Dienst an der Gemeinschaft. Um die Miliz, die die präsenten Verbände auffüllt – mir gefällt in diesem Zusammenhang wesentlich besser „ergänzt“ – kümmern sich schon die Bedarfsträger, das sind die Brigaden selbst. Und im Auslandseinsatz sind die Milizsoldaten ohnehin Vertragssoldaten. Auch diese Auslandseinsätze wären ohne Miliz nicht durchführbar.
Das Gespräch führten G. Bachmann und E. Brandl.
Quelle: http://www.zurzeit.at/index.php?id=154