Wie reif sind der A350 und die Boeing 787?
Trotz Grossbestellungen für die Boeing 777 durch die Fluggesellschaft Emirates sind an der Dubai Air Show in der vorletzten Novemberwoche die längst erwarteten Aufträge für den Airbus A350 und die Boeing 787 (noch) nicht zustande gekommen. Die Airlines am Golf stellen einige kritische Fragen zur technischen Reife der neuen Jets.
Vordergründig war die Dubai Air Show vom 20. bis zum 24. November ein Anlass der Rekorde. Mit Aufträgen im Wert von rund 20 Milliarden Dollar ist das Niveau der letzten Veranstaltung auf das Vierfache gewachsen. Noch nie hatte eine Fluggesellschaft so viele Boeing 777 wie Emirates auf einmal bestellt. Bestaunt werden konnte gleichzeitig, wie viel sich die indischen Fluggesellschaften vorgenommen haben und in welchen Mengen sie konsequenterweise Flugzeuge bestellen. Angesichts all der Milliardenabschlüsse liess sich auch Airbus nicht zweimal bitten und beklebte den für die Flugvorführungen eingeflogenen Airbus A380 erstmals mit dem Emirates-Logo.
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Doch das eigentlich Erstaunliche an der diesjährigen Dubai Air Show war, was alles nicht passierte. Weder Emirates noch Qatar Airways, noch Etihad kündigten die erwarteten Bestellungen an, um die Airbus und Boeing mit ihren neuen Langstreckenjets A350 und 787 seit Monaten ringen. Was Qatar Airways angeht, konnte sich Airbus-Verkaufschef John Leahy noch gelassen geben, denn der Vertrag über den Kauf von 60 A350 sollte bis Jahresende wohl im Trockenen sein. Bei Etihad gibt es schon ein bisschen mehr Anlass zur Sorge, denn es scheint, dass der Expansionsdrang der Airline Abu Dhabis für den Moment ins Stocken gerät. Richtig aufhorchen sollten aber Leahy und sein Boeing-Kollege Scott Carson bei der Begründung, warum Emirates weder bei der 787 noch dem A350 zugeschlagen hat.
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Emirates-Chef Tim Clark will sich nämlich noch Zeit lassen mit der Entscheidung. Zwar sieht die Fluggesellschaft einen Bedarf von mehr als 50 Maschinen in der Kategorie, aber Clark findet, dass vor allem Airbus noch eine Menge Entwicklungsarbeit an dem A350 leisten muss. Dem einflussreichen Airline-Manager kommt der Sinneswandel bei Airbus zu plötzlich. Noch vor einem Jahr, so Clark, habe Airbus vehement für eine nur leicht modifizierte Version des A330-200 geworben und gegen den Einsatz von neuen Materialien argumentiert, weil dieser nicht nötig sei.
Nachdem die Airlines dieser Auffassung nicht gefolgt waren, war Airbus zur Kehrtwende gezwungen. Der Hersteller argumentiere jetzt ziemlich genau in die entgegengesetzte Richtung. Der A350 sei im Wesentlichen ein neues Flugzeug und erreiche seine Vorteile gegenüber der Konkurrenz vor allem durch den Einsatz neuer Materialien - mehr Faserverbundwerkstoffe und moderne Legierungen. Es bestehe die reale Gefahr, dass Airbus mit einem nicht ausgereiften Produkt auf den Markt dränge, nur um Boeing mit der 787 - die etwa ein Jahr Vorsprung in der Entwicklung hat - wieder einzuholen. Beide Hersteller sollten sich stattdessen ein bisschen mehr Zeit nehmen, statt nur auf die schnellen kommerziellen Erfolge zu schielen.
Dabei ist Clark über die Ansätze voll des Lobes. Die Industrie sei daran gewöhnt, Effizienzverbesserungen von 3 bis 5 Prozent gut zu finden. Nun sei plötzlich von 20 Prozent geringerem Treibstoffverbrauch und 40 Prozent geringeren Stückkosten die Rede. Für den Emirates-Chef gleichen solche Errungenschaften einem Durchbruch in ein neues Zeitalter für die Zivilluftfahrt. Weil die beiden konkurrierenden Modelle als technologische Basis für künftige Flugzeuge wie die Nachfolger der 737 und des A320 dienen werden, sei es umso wichtiger, dass Airbus und Boeing sorgfältig arbeiten.
Ein weiterer wichtiger Airbus-Kunde in der Region, Etihad Airways, hat derzeit viel mit sich selbst zu tun. Der Posten des CEO ist jüngst neu besetzt worden - durch den Österreicher Robert Strodel, der bisher die Frachtabteilung der neuen Fluggesellschaft geleitet hat. Nach der Ernennung mussten Flugbetriebsleiter Werner Borchert und mit ihm gleich eine Reihe von Mitarbeitern den Hut nehmen - in einer Phase, da die Fluggesellschaft quasi monatlich neue Flugzeuge übernimmt. Eine kleine Atempause hat lediglich der jüngste Streik bei Boeing gebracht, durch den die Auslieferung von mehreren Boeing 777 ins Jahr 2006 gerutscht ist.
Den Luftfahrtboom in den Golfstaaten und in Indien spüren aber nicht nur die beiden grossen Hersteller. Der Turboprop-Produzent ATR, der in den vergangenen Jahren nur eine geringe Zahl von neuen Aufträgen verzeichnen konnte, profitiert von Sonderregeln, die für Indiens Inlandverkehr gelten. Die stark expandierenden privaten Fluggesellschaften müssen, wenn sie die Genehmigung für nachfragestarke Strecken bekommen wollen, auch im Regionalgeschäft einsteigen. Jet Airways fliegt schon seit Jahren mit ATR-Maschinen auf Sekundär- und Tertiär-Strecken; jetzt hat auch Kingfisher Airlines 20 Flugzeuge des Typs bestellt.
Jens Flottau
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, Druckausgabe vom 05. 12. 2005