Kreml gründet staatliche Flugzeugbauholding
Russland will Krise der heimischen Luftfahrt stoppen - Auch größter Titanhersteller unter Kontrolle
Von Jens Hartmann
Moskau - Russlands Präsident Wladimir Putin hat eine staatliche Flugzeugbauholding ins Leben gerufen, um die tiefe Krise in der russischen Luftfahrt zu stoppen. Die nun gegründete "Vereinigte Flugzeugbau Korporation" soll nach dem Willen des Kremlchefs Giganten wie dem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS und dem US-Hersteller Boeing in einigen Sparten Konkurrenz machen. Die Staatskontrolle über den Sektor wird durch die offizielle Übernahme der Aktienmehrheit von VSMPO-Avisma, dem weltgrößten Titanhersteller und Schlüsselzulieferer für die Flugzeugindustrie, komplett.
"Wir wollen zu den Top Fünf der größten Flugzeugbaunationen gehören", sagte Industrieminister Viktor Christenko. Russland strebt einen Anteil am Weltmarkt von zehn Prozent an. Zu Sowjetzeiten wurde jedes vierte Flugzeug weltweit in der Sowjetunion gefertigt.
Zur Vereinigten Flugzeugbau Korporation, an der der russische Staat vorerst mindestens 75 Prozent der Aktien halten wird, gehören unter anderem die Hersteller von Kampfjets wie Suchoj und MiG, der Flugzeughersteller Irkut sowie die Produzenten von Passagierflugzeugen Iljuschin und Tupolew. Von der Luftfahrtholding verspricht sich Putin Synergieeffekte. Zum Präsidenten des Industriekonglomerats wurde der bisherige Irkut-Präsident und MiG-Chef Alexej Fjodorow bestellt. Aus russischen Industriekreisen ist zu hören, auch der Fünf-Prozent-Anteil an EADS, den die staatliche russische Vneshtorgbank kürzlich übernahm, könnte der Holding zugeschlagen werden. Auch könnte, nach dem Vorbild Eurocopter bei EADS, die russische Hubschrauberindustrie eingegliedert werden.
Die staatliche russische Industrieagentur stellt dem russischen Flugzeugbau ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Demzufolge liegt der Abnutzungsgrad der Anlagen bei 48 Prozent. Die Auslastung der Flugzeugproduzenten lag im vergangenen Jahr bei gerade 35 bis 40 Prozent. "Die Unternehmen fahren Verluste ein. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter liegt kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter. Junge Kräfte gehen nicht in die Flugzeugindustrie", sagte Ewgeni Gorbunow von der Industrieagentur.
In Russland wurden 2005 nur acht Passagierflugzeuge gefertigt. Einheimische Airlines wie Branchenführer Aeroflot meiden es, russische Flugzeuge zu kaufen, die als Spritschlucker berüchtigt sind. Beliebter sind Leasingvarianten für gebrauchte Boeing oder Airbus. Die Renaissance des russischen Flugzeugbaus soll aus dem Staatshaushalt mit Subventionen finanziert werden. Bis 2015 braucht die Branche nach einer Schätzung der Regierung Investitionen von 20 Mrd. Dollar.
Die Vereinigte Flugzeugbau Korporation soll 2007 fit genug für einen Börsengang sein. Putin will dann strategische ausländische Investoren von einem Einstieg als Minderheitsaktionäre überzeugen. Einer Gesetzesänderung zufolge kann der Präsident Ausländern die Erlaubnis erteilen, bis zu 49 Prozent der Aktien an einem russischen Flugzeugbauer zu erwerben. Bislang lag die Obergrenze bei 25 Prozent minus einer Aktie.
Das ehrgeizigste Projekt ist die Entwicklung eines Regionalliners für 75 bis 100 Passagiere mit dem Arbeitstitel Russian Regional Jet. Das Projekt wird unter dem Dach des Suchoj-Konzerns und nun bei der Vereinigten Flugzeugbau Korporation umgesetzt. Die italienische Alenia Aeronautica hält am Projekt Russian Regional Jet eine Sperrminorität. Boeing berät.
Am weltgrößten Titanhersteller VSMPO-Avisma hält der Staat nun 66 Prozent. Für Boeing und EADS, die einen großen Teil ihres Titans von VSMPO-Avisma beziehen, nimmt die Bedeutung Russlands zu: als Rohstoffbasis, als Absatzmarkt sowie als verlängerte Werkbank und Ingenieurszentrum. Boeing gründete ein Joint Venture mit VSMPO-Avisma und unterhält Ingenieursbüros. EADS hält an Irkut zehn Prozent, lässt in Russland Airbus-Komponenten fertigen und will Russland am Airbus A 350 und am Umbau von Passagier- zu Frachtflugzeugen beteiligen.
Quelle: DIE WELT vom 13.11.2006