Spiel mit dem Feuer

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LOWA
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Spiel mit dem Feuer

Post by LOWA » 9. May 2006, 10:21

LUFTFAHRT Spiel mit dem Feuer

Es ist früher Nachmittag in Peking. Fünf junge Chinesen sitzen erwartungsvoll an ihren Tischen. Der Unterricht kann beginnen. So weit ist alles normal, nur der Ausbilder fällt aus dem Rahmen, und auch der Lehrstoff ist eher ungewöhnlich: Der Spanier José Cataluña Casanova, 60, knipst den Projektor an, die technische Zeichnung eines Airbus A320 erscheint an der Wand.

Wenn der Chef des Technischen Zentrums von Airbus in China und seine Schüler auf das Flugzeug schauen, sehen sie nicht unbedingt dasselbe. Dem Airbus-Veteran Cataluña ist das ganze Flugzeug vertraut - von der Entwicklung über die Montage bis zum Kundendienst. Dagegen lernen die chinesischen Techniker bisher nur, Einzelteile des Airbus zu fertigen wie Rumpf oder Fahrgestell.

Dafür zumindest wurden bislang 59 junge Chinesen teilweise direkt von ihren Arbeitgebern - Chinas größten beiden Flugzeugbauern - ganz offiziell zu Airbus beordert. Doch das begrenzte Wissen, das die Europäer ihren chinesischen Zulieferern in Peking sowie in Hamburg und Toulouse antrainieren, reicht der Volksrepublik schon jetzt nicht mehr. Sie fiebern danach, ihr eigenes Großflugzeug mit bis zu 200 Sitzen zu bauen. Airbus soll ihnen dabei möglichst kräftig helfen.

Bis 2010 will die Volksrepublik die Entwicklung eines eigenen Großflugzeugs in Angriff nehmen. Das verkündete Premier Wen Jiabao unlängst feierlich. Ähnlich wie bereits bei Autos möchte die Weltfabrik nicht mehr nur für andere werkeln. Auch bei Flugzeugen trachtet Asiens aufstrebende Mega-Macht nach westlichem Wissen - vom Design bis zur Endmontage.

Noch jedoch mutet die Vorstellung seltsam an, dass ausgerechnet China zur Flugzeugbau-Nation aufsteigen möchte. Bisher tritt das Land vor allem als großzügiger Kunde von Boeing und Airbus in Erscheinung. China ist für die Branchenriesen der zweitwichtigste Flugzeugmarkt hinter den USA. In den kommenden zwei Jahrzehnten braucht das 1,3-Milliarden-Volk nach einer Boeing-Schätzung über 2600 neue Maschinen, um den Transport von Passagieren und Fracht zu bewältigen.

Doch die Hoffnungen von Boeing und Airbus auf endlose Geschäfte könnten trügerisch sein. Denn die Chinesen wollen ihren Zukunftsmarkt nicht auf Dauer dem Westen überlassen. Beflügelt wird Chinas Ehrgeiz zum Bau eigener Flugzeuge neuerdings durch Airbus selbst: Mit der Zusage, voraussichtlich ab 2008 den Airbus-Typ A320 in China fertigen zu lassen, erkauften sich die Europäer kürzlich von den Chinesen praktisch den Großauftrag über 150 Flugzeuge. Der Standort der neuen Produktionshallen soll womöglich schon in den nächsten Tagen verkündet werden.

Chinas Strategen jubeln. Einer, der auf Hilfe von Airbus hofft, ist Han Yichu, der Vizechefingenieur von Xi'an Aircraft Industry. Betritt Han die Montagehalle des im Norden angesiedelten Flugzeugbauers, geht er an einem Schild vorbei, auf dem steht: "Lasst uns gemeinsam arbeiten, um das Weltklasse-Flugzeug zu bauen."

Was die Chinesen unter "gemeinsam" verstehen, erschließt sich erst bei genauerem Hinsehen: Links auf dem Schild prangt ein stolzer Hinweis auf den Airbus A320, rechts auf die Boeing 737. Denn hier, in ein und derselben Halle, fertigen Han und seine Arbeiter jeweils Zubehör für

Amerikaner und Europäer, zum Beispiel Leitwerkkomponenten und Türen.

Als Zulieferer für Boeing wie auch Airbus hätten die Chinesen bereits viel gelernt, berichtet Ingenieur Han offenherzig. Das glaubt man ihm gern, denn wo sonst als in China müssen sich erbitterte Konkurrenten wie Boeing und Airbus damit abfinden, dass ihre sensible Hightech unter einem Dach, ja sogar Band an Band gefertigt wird? Airbus plant, beim neuen A350 mindestens fünf Prozent der Teile in China produzieren zu lassen, und auch Boeing lässt bereits wichtige Zulieferungen von dort kommen.

Was den Asiaten bei ihrer Aufholjagd noch fehlt, ist die Montage eines gesamten Großflugzeugs: Wenn der Airbus A320 komplett in China gefertigt werde, sagt Han, bringe das die heimische Industrie auf jeden Fall voran. Die Montage solle für China "ein Sprungbrett werden, um unabhängig einen Jumbo-Jet zu bauen", glaubt der Luftfahrtexperte Xue Dexin. Wo der A320 in China gebaut werden soll, muss Airbus erst noch verkünden. Doch für Fachleute wie Xue steht fest: Auch China sollte sein Großflugzeug dort entwickeln, wo Airbus den A320 montieren lässt.

Auf diese Weise macht sich Airbus in China Freunde - und natürlich auch Hoffnung auf neue Aufträge. Denn mit einem Marktanteil von nur rund 30 Prozent ist der europäische Hightech-Konzern besonders abhängig vom politischen Wohlwollen Pekings. Boeings Marktanteil liegt dagegen bei deutlich über 60 Prozent.

Wichtiger ist indes: Die US-Regierung würde Boeing kaum erlauben, ganze Maschinen in China fertigen zu lassen und so den Verlust geistigen Eigentums

zu riskieren. "Airbus spielt mit dem Feuer", sagt ein Ingenieur, der für Boeing die Fertigung bei chinesischen Zulieferern überwacht.

Dabei haben die Chinesen aus ihren hochfliegenden Plänen nie einen Hehl gemacht. Der 76-jährige Cheng Bushi zum Beispiel war schon dabei, als China auf Befehl des Großen Vorsitzenden Mao Zedong 1970 mit der Entwicklung des Großflugzeugs Y-10 begann. In einem Café in Shanghai erzählt der einstige Vizechefingenieur, wie er das Vorhaben durch die Wirren der Kulturrevolution lavierte - bis es 1980 endlich so weit war.

Unter dem Applaus vieler Ehrengäste in blauen Mao-Uniformen absolvierte die Y-10 ihren Testflug. Doch Chinas Öffnung für den Welthandel beendete Mitte der achtziger Jahre den nationalen Kraftakt: Die Reformer in Peking fanden es ökonomischer, moderne Flugzeuge im Ausland zu kaufen - und die Technologie dann gleich dazu.

Zunächst bauten die Chinesen Flugzeuge in einem gemeinsamen Unternehmen mit dem US-Flugzeugbauer McDonnell Douglas (MD). Als Boeing MD übernahm, stoppten die Amerikaner das Projekt zwar. Doch die kommunistischen Strategen gaben nicht auf. Als ersten Schritt zum eigenen Großflugzeug trieben sie zunächst den Bau von kleineren Jets voran.

In Xi'an, wo die Chinesen Zubehör für Airbus und Boeing montieren, bauen sie ihren ersten angeblich selbstentwickelten 60-Sitzer mit Turbo-Propellerantrieb. Name des Jets: Xinzhou 60. In der Halle schrauben und hämmern die Arbeiter derzeit auf Hochtouren an den noch rohen Flugzeugrümpfen für Kunden in Nepal, Laos, Sambia sowie im Kongo. Vergangenes Jahr wurden die ersten Xinzhou 60 an Zimbabwe geliefert.

Das klingt nach bescheidenen Anfängen, doch schon in drei Jahren wollen sie das größere Regionalflugzeug ARJ-21 mit 70 bis 100 Sitzen auf den Markt bringen. Gebaut wird der Flieger zum Teil ebenfalls in Xian, doch gelenkt wird das Projekt in Peking, vom Mutterkonzern China Aviation Industry Corporation I (Avic I).

Die Avic-I-Zentrale wird gesichert wie ein Ministerium. Im Stechschritt marschieren hier 16 Soldaten der bewaffneten Volkspolizei zur Wachablösung. Hier herrscht noch der Geist jenes Industriekonglomerats, das 1999 in die Konzerne Avic I und Avic II aufgespalten wurde. Insgesamt beschäftigen die beiden Unternehmen über eine halbe Million Menschen. Beide haben ein Ziel: China zum eigenen Großflugzeug zu verhelfen.

Auf der siebten Etage von Avic I leistet Vizepräsident Yang Yuzhong seinen patriotischen Beitrag im Flugzeugbau. In dem vornehmen Empfangssalon mit den tiefen weißen Ledersesseln begrüße er dieser Tage viele Vertreter europäischer Fluggesellschaften, sagt Yang. Die Besucher würden reges Interesse am ARJ-21 zeigen.

Das Regionalflugzeug sei mitsamt allen Patenten geistiges Eigentum seines Konzerns. Okay, das Triebwerk steuert der US-Hersteller General Electric bei, doch das Design des Flugzeugs sei chinesisch. Auch beim Preis werde der Flieger konkurrieren können, verspricht Yang. Dass China in der Lage sei, billig zu produzieren, brauche er ja wohl nicht zu erläutern, sagt er lächelnd und nennt nur zwei Beispiele: Textilien und Möbel.

Doch ganz so stürmisch wie erhofft dürfte China die globalen Märkte mit seinen Fliegern kaum erobern. Airbus-Ausbilder Cataluña drückt es so aus: "Flugzeuge müssen nicht nur fliegen können." Wichtig sind auch Vertrauen in die Sicherheit der Technik und die Wartung der Maschinen.

Dafür brauchen die Chinesen noch viel westliches Wissen. Deshalb drängen sie so vehement darauf, aus der Rolle des Zulieferers auszubrechen.

Wenn Airbus an echter Freundschaft liege, sagt Avic-Manager Yang, müsse es China auch an Design und Herstellung beteiligen. Hohe Airbus-Manager würden ihm darin bereits zustimmen, berichtet Yang.

In der Tat deutet in der Airbus-Zentrale in Peking vieles auf noch engere Kooperation mit den Gastgebern hin. Wer glaube, China von Flugzeugtechnologie ausschließen zu können, sei naiv, heißt es. Chefausbilder Cataluña soll bis Ende 2007 schon 200 Chinesen ausbilden. Auf einem Grundstück nebenan wollen die Europäer dafür ein neues Technikzentrum bauen.

Cataluña ist seit knapp einem Jahr in China. Auf die Frage, ob er in zehn Jahren noch im Airbus ins Reich der Mitte fliegen werde oder schon in einem chinesischen Jumbo, sagt der Europäer lachend: "In einem Flugzeug, das wir gemeinsam gebaut haben." Er will diplomatisch klingen. Vielleicht ist es aber auch nur eine schöne Hoffnung. WIELAND WAGNER


Quelle: Der Spiegel vom 08.05.2006
Glück ab, gut Land!

LOWA - Wien's einstiger Flughafen, 1912 - 1977

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