Flugzeugfriedh

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LOWA
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Flugzeugfriedh

Post by LOWA » 5. Jul 2007, 10:12

Flugzeugfriedhöfe: Wertvolle Wracks

Bisher landeten ausgemusterte Flieger auf Flugzeugfriedhöfen in der Wüste. Jetzt konkurrieren Airbus und Boeing auch darum, wer alte Jets besser verwerten kann

Von Gesche Wüpper

Wie ein verletzter Vogel mit gestutzten Flügeln liegt das Flugzeug auf seinem Metallbauch. In der ehemaligen US-Militärbasis von Châteauroux in Zentralfrankreich ist der Flieger den Angriffen einer roten 600-Tonnen-Maschine ausgesetzt. Eine riesige Kneifzange hackt immer wieder auf den Körper des Jets ein, der einst Hunderttausende Passagiere durch die Lüfte transportierte. Stück für Stück wird die metallene Haut herausgerissen.

Nach 30 Jahren hat der Flieger ausgedient. Bisher rotteten ausgemusterte Flugzeuge einfach in einem Hangar vor sich hin. Oder sie landeten wie 400 andere ausgeschlachtete Wracks auf dem riesigen Flugzeugfriedhof in der amerikanischen Mojave-Wüste, wo ätzende Flüssigkeiten der Batterien den sandigen Boden verseuchten. Doch inzwischen hat das Umweltbewusstsein auch die Luftfahrtbranche erreicht. Jetrecycling liegt im Trend.

Die Flugzeughersteller Airbus und Boeing fürchten eine EU-Richtlinie, die sie in absehbarer Zeit zur Rücknahme und Wiederverwertung ihrer Produkte verpflichten könnte - nach dem Vorbild der Automobilbranche. Seit fast 40 Jahren wetteifern die beiden Erzrivalen darum, wer die besseren Flugzeuge baut. Nun konkurrieren sie auch darum, wer die Flieger besser auseinandernehmen und wiederverwerten kann.

So startete Airbus 2005 in Tarbes zusammen mit der auf Abfallbeseitigung spezialisierten Suez-Filiale Sita und anderen Partnern aus dem Aerospace Valley, der Interessengemeinschaft der in Südwestfrankreich beheimateten Luft- und Raumfahrtindustrie, das 2,4 Millionen Euro teure Pilotprojekt "Pamela". Das ist kein Spitzname, sondern steht für "Process for Advanced Management End of Life Aircraft".

Boeing wiederum gründete 2006 zusammen mit Flugzeugverwertern und Motorenhersteller Rolls Royce die Aircraft Fleet Recycling Association, kurz Afra. Eines der Mitglieder, die französische Bartin Recycling Group, betreibt am Flughafen von Châteauroux bereits eine Anlage. Pro Jahr würden dort zwölf bis 15 Linienjets auseinandergenommen, erklärt Afra-Präsident Martin Fraissignes. Dank neuer Techniken könne Bartin Recycling fast 90 Prozent aller Teile eines ausgemusterten Fliegers verwerten, sagt Projektleiter Charles Kofyan.

Doch andere Experten bezweifeln das. Bisher könnten lediglich 80 Prozent der Teile einer Passagiermaschine wiederverwendet werden, schätzt die amerikanische Fachzeitschrift "Air & Space Magazine". Airbus will nun noch einen Schritt weitergehen und nennt als Ziel 85 bis 95 Prozent. "Wir wollen wirklich innovative, umweltfreundliche Lösungen bieten", sagt der Umweltdirektor des europäischen Flugzeugbauers, Bruno Costes. "Dieses Wissen wollen wir exportieren."

Die beiden Flugzeugbauer stehen vor einer großen Herausforderung, denn die Flotte der Airlines wird immer älter. "In den nächsten zehn bis 20 Jahren werden schätzungsweise 6000 bis 8000 Passagiermaschinen aus dem Dienst genommen werden", sagt Afra-Präsident Martin Fraissignes. Die Zahl könnte sich sogar noch weiter erhöhen, wenn strengere Umweltauflagen zur Norm erhoben werden.

Normalerweise wird die Lebensdauer eines Jets auf 30 Jahre veranschlagt. Doch viele Fluggesellschaften setzen nicht nur aus Wettbewerbsgründen auf junge Flotten. So sind die Wartungs- und Betriebskosten für alternde Jets mit hohem Treibstoffverbrauch sehr viel höher als die eines effizienten Fliegers der neuesten Generation. Während der von Boeing initiierte Zusammenschluss im amerikanischen Bundesstaat Arizona und in Zentralfrankreich bereits serienmäßig Flugzeuge recycelt, will das Airbus-Team seine Testphase erst im Herbst abschließen. "Wir haben Zeit", sagt Umweltdirektor Bruno Costes. Denn die ersten Maschinen des 1970 gegründeten Flugzeugbauers erreichen erst jetzt das Rentenalter.

Für das "Pamela"-Projekt hat das Airbus-Team zunächst eine A300 einer türkischen Fluggesellschaft auseinandergenommen.

Als Erstes wird dabei das Flugzeug stabilisiert, dann montieren Techniker den Rumpfflügel hinten ab. Anschließend werden die Flüssigkeiten abgepumpt und die Flügel abgetrennt. Statt einer Kettensäge oder eines Laserschneiders benutzen die "Pamela" -Mitarbeiter dafür einen Hochdruckwasserstrahl; das Wasser wird anschließend gereinigt. Erst danach nehmen sie sich die einzelnen Bereiche des Flugzeugrumpfs vor und testen, wie sich Kombüsen, Plastikverkleidungen, Verkabelungen und Isoliermaterial am besten entfernen lassen. Für jede Methode, jeden Arbeitsschritt wird auch die Zeit gestoppt. Am Ende werden alle Einzelteile nach Materialien getrennt, gewogen und analysiert. "Wir sind nun dabei, die Schlussfolgerungen aus den gesammelten Daten zu ziehen. Die Ergebnisse müssten wir im Oktober haben", sagt Airbus-Umweltdirektor Costes.

Darauf basierend soll dann die beste Recyclingmethode entwickelt werden. Denn ab kommendem Jahr will das Team in Tarbes unweit des Wallfahrtortes Lourdes Flugzeuge in Serie abwracken. Der Startschuss dafür erfolgte vor zwei Wochen auf der Luftfahrtmesse von Le Bourget mit der Gründung des Gemeinschaftunternehmens Tarmac Aerosave (Tarbes Advanced Recycling & Maintenance Aircraft Company). Neben Airbus und Sita sind daran auch Snecma Services, die Flugzeugmotorenwartungsfiliale des französischen Safran-Konzerns, die Mittelständler Equip'Aero und Aéroconseil sowie Tasc Aviation, eine im Wüstenemirat Dubai ansässige, auf den Ersatzteilhandel spezialisierte Airbus-Filiale beteiligt.

"Das Zerlegen von Flugzeugen wird aber nicht zu einem Kernbereich von Airbus werden", sagt Costes. Dennoch lohnt sich das Recycling für den Flugzeugbauer und seine Partner. So sollen die dabei gewonnenen Erfahrungen in Technologien und Konzeptionen künftiger Flugzeugprogramme einfließen. "Wenn man einen Flieger auseinandernimmt, sieht man auch, wie sich die einzelnen Teile verhalten, wie sie reagieren", erklärt der Manager. Aus dem Verschleiß kann der Flugzeughersteller Erkenntnisse für künftige Konstruktionen gewinnen.

Zum anderen kann Airbus so den lukrativen Markt für Ersatzteile kontrollieren: "Das müssen wir aus Sicherheitsgründen tun." Denn immer wieder tauchen auf dem Schwarzmarkt "bogus parts" auf, preiswerte, aber eben nicht zertifizierte Ersatzteile. Weil sie nicht nach strengen Sicherheitskriterien geprüft und gewartet werden, bergen sie ein tödliches Risiko. Diese schwarz gehandelten Ersatzteile stellen für die Luftfahrtbranche ein großes Problem dar, vor allem in Entwicklungsländern.

Der Handel mit gebrauchten Teilen oder ganzen Baugruppen ist aber auch ein Geschäft, mit dem sich viel Geld verdienen lässt. Manche Flugzeugelemente gehen selbst nach 30 Jahren nicht kaputt und können problemlos in neue Jets eingebaut werden.

In Châteauroux betreut Grégoire Lebigot den Online-Handel mit den Ersatzteilen. "Das ist unsere Schatzkammer", sagt er über den Raum, in dem die einzelnen Flugzeugteile fein säuberlich beschriftet lagern. So habe er die Motoren einer A310 von Air Kazakhstan, die die Bartin Recycling Group für 1,9 Millionen Euro gekauft hatte, für 1,2 Millionen Euro weiterverkauft. Die Schalldämpfer seien für 18 600 Euro weggegangen und die Windschutzscheibe des Cockpits für 7430 Euro. Insgesamt hätten die 1500 Teile der alten Passagiermaschine fast drei Millionen Euro eingebracht, berichtet Lebigot.

Ausgemusterte Flugzeugteile müssen nicht zwangsläufig in neuen Jets landen wie mehrere Beispiele zeigen. So konstruierte Architekt David Hertz in Kalifornien aus den Bestandteilen einer ausgemusterten Boeing 747 ein Eigenheim. Und in Paris kreiert der Antiquitätenhändler Pierre Farman, ein Nachkomme der berühmten französischen Flieger- und Flugzeugbaubrüder, kunstvolle Möbelstücke, die aus Flügeln oder Propellern gefertigt sind.

Auch mit dem Abwracken lässt sich angesichts stetig steigender Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt Kasse machen. Die Tonne Aluminium bringt derzeit rund 750 Euro, rostfreier Stahl circa 1450 Euro und Kupfer aus alten Kabeln gut 1500. Die Bartin-Gruppe trennt deshalb in Châteauroux die Überreste eines Fliegers nach Metallen. Anschließend werden sie geschreddert und eingeschmolzen. Aus dem so gewonnenen Aluminium werden später Fahrräder oder Motoren für Autos gebaut.

Die Verwendung neuer Materialien wie Kohlefaserverbundkunststoffe (CFK) stellt die Recycler allerdings vor eine neue Herausforderung, denn sie können nicht einfach zerstückelt und eingeschmolzen werden. Stattdessen ist ein kompliziertes Verfahren nötig, um diese Materialien wiederverwenden zu können.

"Das Recycling von Flugzeugen ist langfristig ein zukunftsträchtiger Markt", meint Jean-Luc Taupiac, der bei Airbus für das "Pamela"-Projekt verantwortlich ist. Das gerade gegründete Gemeinschaftsunternehmen des Flugzeugbauers möchte sich einen möglichst großen Anteil an diesem Kuchen sichern und bis 2010 zehn Flugzeuge pro Jahr recyceln.

Doch Boeing scheint mit seiner Afra-Gruppe die Nase vorn zu haben. Bereits Mitte Juli will Afra ein Dokument mit Empfehlungen für die besten Recyclingmethoden veröffentlichen und diese den zuständigen Behörden in den Vereinigten Staaten sowie Europa übergeben. Dennoch reagiert Airbus gelassen. "Châteauroux ist keine Konkurrenz für uns", sagt Airbus-Umweltdirektor Bruno Costes. "Wir haben einen ganz anderen Ansatz." Afra-Präsident Martin Fraissignes sieht sich seinerseits durch Airbus nicht bedroht - im Gegenteil. "Wir haben beide dieselben Sorgen: wie man Flugzeuge sicher und umweltschonend recyceln kann", sagt er. "Warum sollten wir da nicht eines Tages zusammenarbeiten?"

Copyright Axel Springer AG


Quelle:"Die Welt" Nr. 153 vom 04.07.2007
Glück ab, gut Land!

LOWA - Wien's einstiger Flughafen, 1912 - 1977

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