Boeing nimmt sein Allzeithoch wieder ins Visier
Zusätzliches Kurspotenzial durch Airbus-Probleme
Bonn - Schadenfreude gilt oft als die schönste Freude. Daher dürften viele Aktionäre von Boeing die Lieferprobleme des Erzrivalen Airbus mit Genugtuung verfolgen. Sie setzen darauf, dass die verärgerten Airbus-Kunden, nämlich die Fluggesellschaften, jetzt verstärkt bei dem neuerdings in Chicago ansässigen Konzern bestellen.
Bereits jetzt laufen die Geschäfte des amerikanischen Flugzeugbauers prächtig. Bei den Neuaufträgen konnte der europäische Wettbewerber im laufenden Jahr bereits überholt werden. Die Analysten von Merrill Lynch rechnen damit, dass Boeing in diesem Jahr insgesamt 405 Maschinen verkauft, das sind rund 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Für das kommende Jahr gehen Experten von 440 bis 445 verkauften Flugzeugen aus. Die Wall Street feierte die Verkaufserfolge und -aussichten bereits mit überdurchschnittlichen Kursgewinnen. Damit nähert sich das Dow-Jones-Mitglied wieder seinem Allzeithoch von 89,58 Dollar und setzt den Aufwärtstrend fort, der nun schon - mit kurzen Unterbrechungen - seit 30 Jahren anhält.
Wie sich Gewinne und Umsätze im dritten Quartal entwickelt haben, und wie das Management die nahe Zukunft sieht, erfahren die Anleger morgen. Glaubt man dem Konsens hat der Konzern in der Berichtsperiode 64 Cent pro Aktie verdient. Diese Zahl ließe sich aber wegen Sonderfaktoren (Streik, Verkäufe von Unternehmen) allerdings schlecht mit dem Vorjahr vergleichen, sagen Experten. Aufschlussreicher sei der Umsatz, heißt es. Dort rechnet der Konsens mit einem Zuwachs von rund 20 Prozent auf 15,07 Mrd. Dollar. Analyst Byron Callan von Prudential Financial glaubt, dass die Börse die künftigen Marktanteilsgewinne aus dem Wettkampf mit Airbus noch nicht völlig eingepreist hat. Der Branchenkenner traut der Industrie-Aktie einen Anstieg auf 93 Dollar zu und empfiehlt "Übergewichten". Sein Kollege Rob Stallard von Banc of America Securities legt beim Kurziel noch sieben Dollar darauf und empfehlt ebenfalls "Kaufen". Auch Stallar glaubt, dass die Amerikaner noch lange von der Airbus-Misere profitieren werden, etwa bei den Anschaffungen von Lufthansa.
Noch großzügiger fällt das Kursziel von Heidi Wood aus, die das Papier für Morgan Stanley beobachtet. Die Analystin sieht einen Kurspielraum bis 110 Dollar. Ihren Optimismus begründeten sie mit langfristigen Erwägungen. Die großen Fluggesellschaften müssten ihre Flotten in den kommenden Jahren aufrüsten, heißt es. Dabei habe Boeing besonders gute Karten, nicht zuletzt wegen den Airbus-Verzögerungen. Sie gehe davon aus, wenn der Kunde British Airways im kommenden Jahr einen Großauftrag zur Erneuerung seiner Flotte erteilte, werde Boeing bevorzugt - ohnehin besäße Boeing bei den Briten gewissermaßen eine Monopolstellung.
Einige Analysten halten aber das Industrie-Papier vorerst für ausgereizt. Richard Safran von Goldman Sachs glaubt zwar auch an wachsende Marktanteile für die Amerikaner. Er hält den US-Flugzeugbauer gemessen an seinen Gewinnschätzungen derzeit für fair bewertet. Im laufenden Jahr sollte Boeing nach seinen Berechnungen 2,34 Dollar pro Aktie verdienen. Im kommenden Jahr sollte diese Messgröße auf 4,80 Dollar anziehen und in 2008 auf 5,40 Dollar. Da der Börsenwert in etwa seinem Kursziel von 82 Dollar entspricht, bewertet der Analyst das Papier mit "Neutral". mai
Quelle: DIE WELT vom 24.10.2006