Britanniens Kampf der Kulturen
British Airways verbietet seinen Angestellten christliche Symbole
Von Thomas Kielinger
Darf eine Angestellte der nationalen britischen Luftlinie British Airways (BA) kein silbernes Kreuz am Hals tragen, auch wenn dieses nicht größer ist als die kleinste Münze, das Five-Pence-Stück? Doch, sagt die Airline, tragen darf sie es, aber es muss unter der Uniform unsichtbar bleiben. So ist die Kleiderordnung, wir sind ein durch und durch laizistisches Unternehmen. Wirklich? Muslimische weibliche Angestellte dürfen ihren Hijab, das Kopftuch, tragen, so wie Sikhs Turban oder "bangle", den mit Netz zusammen gehaltenen Haar-Knoten. "Die lassen sich schlecht unter einer Uniform verstecken", argumentiert die Airline und suspendiert ihre christliche Ticket-Angestellte Nadia Eweida vom Dienst, weil diese sich weigert, ihr Kreuzchen zu verstecken.
Der Kampf der Kulturen, den Samuel P. Huntington vor Jahren in seinem gleichnamigen Buch voraussagte - er ist in Großbritannien voll entbrannt. Vorerst nur als Kampf um das Recht, seine Religionszugehörigkeit offenkundig zu machen. Aber in ihrem Kern läuft die Frage auf die britische Identität zu, und ob das Ideal der Multikulturalität nicht die Toleranz-Fähigkeit der Gesellschaft übersteigt, wenn es diese nicht vielleicht sogar schon längst überstiegen hat. Denn es scheint so, als ob die Rücksicht gegenüber religiösen Minderheiten allmählich die gleichrangigen Rechte der christlichen Mehrheit zu verdrängen beginnt.
Die Debatte entbrannte lichterloh, als vor zehn Tagen Ex-Außenminister Jack Straw wissen ließ, er werde muslimische Frauen, die bis auf den Augenschlitz tief verschleiert zu ihm in die Wahlkreis-Sprechstunde kommen, hinfort auffordern, ihren Schleier abzulegen. "Ich kann mich schlecht mit Menschen unterhalten, deren Gesicht ich nicht zu sehen bekomme", kommentierte der Politiker schmucklos-direkt.
Genau das aber, solchermaßen verschleiert, möchte die Grundschullehrerin Aishan Azmi als Recht für sich beanspruchen, wenn sie vor ihre Kinder tritt. Das Funkeln ihrer Augen und ihre "Körpersprache" reichten aus, so sagt sie, sich den Kindern gegenüber verständlich zu machen. Die Behörde sieht es anders, und so wurde jetzt Ms. Azmi ihres Dienstes an der Grundschule in West Yorkshire enthoben. Prompt droht sie mit Klage, weil ihr Menschenrecht auf religiöse Eigenart verletzt worden sei.
Der dritte Spieler in diesem Kulturkampf, die Öffentlichkeit, ist mit großer Mehrheit auf der Seite des Straw-Arguments. Ja, die Moslems in Großbritannien seien in Gefahr, "sich in eine freiwillige Apartheid" zu begeben, äußert der Schatteninnenminister David Davis. Gleichzeitig treten die Verteidiger der Christin Nadia Eweida an, British Airways der religiösen Diskriminierung zu beschuldigen, sowie abgeschmackter Kapitulation gegenüber muslimischen Empfindlichkeiten. Viele, auch Prominente, kündigen sogar einen Boykott der BA an. Die Insel steht vor ihrer Gretchenfrage: Quo vadis, Multikulti?
Quelle: DIE WELT vom 16.10.2006