Wie ein Rockstar

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LOWA
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Wie ein Rockstar

Post by LOWA » 24. Feb 2005, 16:39

Die Ertragsrechnung bei Linienflügen ist eine heikle Angelegenheit. Auf ihre Kosten kommen die Fluggesellschaften oft nur durch Vollzahler in ihren First- und Business-class-Kabinen. Nur etwa zwanzig Prozent aller Passagiere reisen in diesen Klassen, sie bringen aber sechzig Prozent der Einnahmen. Die Fluggäste auf den billigen Plätzen im hinteren Teil des Flugzeugs dagegen liefern oft nur Deckungsbeiträge für die anfallenden Kosten, und nur dank eines komplizierten Tarifmixes läßt sich insgesamt ein Profit erzielen - was heute in der Luftfahrtbranche ohnehin die Ausnahme darstellt. Um so ungewöhnlicher ist ein neues Angebot, das ausschließlich Plätze in der Business class bietet und die meist maximal fünfzig Passagiere fast mit den Annehmlichkeiten eines Privatjets befördert.

Die Idee, auf bestimmten Strecken reine Business-Jet-Flüge anzubieten, stammt von der Lufthansa. Nach den Terroranschlägen von New York lohnten sich die Flüge mit einem Airbus A340 von Düsseldorf nach New York nicht mehr. Im Juni 2002 startete die Lufthansa zunächst als Experiment einen sechsmal wöchentlich bedienten Flug mit einem Boeing Business Jet mit 48 Sitzen vom Rhein/Ruhr-Flughafen zum Liberty International Airport in Newark bei New York. Das war besonders beliebt bei rheinischen Unternehmen mit Dependance in New Jersey, zuletzt lag die Auslastung zeitweise bei achtzig Prozent. Bereits in den ersten zwei Jahren nutzten mehr als 20000 Passagiere diese und die später eingeführten weiteren Verbindungen zwischen Düsseldorf und Chicago sowie zwischen München und Newark. Mitte Januar zog die Schweizer Fluggesellschaft Swiss nach. Sie bietet seitdem sechsmal wöchentlich am späten Nachmittag einen Abflug von Zürich nach Newark, dafür ist der Dienst mit dem Airbus A330 auf dieser Strecke eingestellt.

Seit einiger Zeit bieten Flugzeughersteller besondere Versionen ihrer Mittelstrecken-Jets Boeing 737 und Airbus A319 für den privaten Geschäftsreiseverkehr an. Mit stärkeren Triebwerken und Zusatztanks sind sie in der Lage, bis zu zehneinhalb Stunden dauernde Langstrecken ohne Zwischenstopp zu bewältigen, allerdings mit weit weniger Passagieren als sonst üblich. So stopft der englische Billigflieger Easyjet in einen A319 bis zu 156 Passagiere, während die Lufthansa bei ihrem Business-Jet-Service von Düsseldorf nach Newark und Chicago bei gleich großer Kabine nur 48 Sitze anbietet.

Nun wäre es ein unkalkulierbares Risiko, sich als Linienfluggesellschaft solche Flugzeuge für einen Nischenmarkt anzuschaffen, also geht man lieber Kooperationen ein. Partner von Lufthansa wie Swiss ist die Chartergesellschaft PrivatAir mit Sitz in Genf. PrivatAir fliegt normalerweise im Privatcharter. Musikgrößen wie U2, die Rolling Stones oder Paul McCartney zählen zur Stammkundschaft. Jetzt leasen Lufthansa und nun auch Swiss von PrivatAir die Flugzeuge samt Besatzung, übernehmen aber die komplette Vermarktung.

Nach dem Erfolg mit den "Business-Jets" hat die Lufthansa kürzlich den Leasingvertrag mit PrivatAir auf drei Jahre verlängert. Während die Charterfirma schon von einer möglichen Ausweitung des Lufthansa-Angebots mit neuen Zielen wie etwa Dallas/Fort Worth oder Atlanta spekuliert, hält man sich in Frankfurt bedeckt: Konkret geplant sei derzeit in diesem Bereich nichts Neues, grundsätzlich seien aber weitere Ziele mit Executive Jets denkbar. Zum laufenden Winterflugplan wurde das Angebot von Düsseldorf nach Newark von sechsmal wöchentlich auf täglich aufgestockt, dafür die Anzahl der Verbindungen nach Chicago auf fünf gesenkt. Mehr ist mit nur zwei Flugzeugen nicht möglich, die einen Tag Bodenzeit pro Woche für die Wartung benötigen. Da es keinen Ersatz gibt, müßte bei technischen Problemen der Flug ganz gestrichen werden, was jedoch seit Mitte 2002 nur ein halbes dutzendmal passiert ist.

Gemessen am Passagierinteresse, hat es sehr lange gedauert, bis mit Swiss ein zweiter Betreiber gefunden war. Auch die Schweizer haben eine prospektive Klientel von Passagieren aus Banken, Versicherungen und Pharmafirmen, die regelmäßig zwischen Zürich und Newark pendeln müssen. Für diese Kunden beschaffte PrivatAir ein neues Flugzeug, den um fünf Meter verlängerten BBJ2. Damit kann Swiss an Bord mehr Komfort bieten. Die 56 Sitze haben 1,52 Meter Abstand und lassen sich zu flachen Betten mit 9 Grad Neigungswinkel ausfahren. Bei den Lufthansa-PrivatAir-Flügen dagegen sind es nur 1,40 Meter Sitzabstand ohne Liegefunktion; damit ist dieses Angebot der neuen Lufthansa-Business class auf Langstrecken fühlbar unterlegen. Gegenwärtig sei nicht geplant, die Sitze in den PrivatAir-Flugzeugen auszutauschen, betont die Lufthansa.

Aber auch bei Swiss ist das neue Angebot noch nicht ganz ausgereift: Eine angenehme Sitzposition zu finden gestaltet sich nicht immer einfach, da die Anleitung in der Sitztasche lückenhaft ist. Der ausliegende Kopfhörer ist irreführend, gibt es doch keinerlei Audioprogramm - was wiederum nirgendwo erklärt wird; dafür verteilen die Flugbegleiter DVD-Spieler mit acht Filmen für jeden Passagier -, nur leider fehlt auch dafür jede begleitende Auflistung oder Anleitung. Die Vorteile bei derart wenigen Mitreisenden liegen trotzdem auf der Hand - vor allem die extrem beschleunigten Vorgänge beim Check-in, bei den Sicherheitskontrollen, beim Einsteigen und später bei der Einreise in die Vereinigten Staaten und am Gepäckband sind große Pluspunkte.

Einen Business-class-Verkehr mit kleinen Jets betreibt seit einem Jahr auch Air France unter dem Namen "Dedicate". Die Destinationen mögen exotisch klingen - für die Ölbranche, an die sich diese Dienste vorrangig richten, sind sie Alltag: Kuweit, Taschkent/Usbekistan, Malabo in Äquatorial-Guinea sowie Pointe Noire und Brazzaville in Kongo werden derzeit von Paris aus bedient. Ungewöhnlich ist dabei allerdings, daß Air France "Dedicate" mit zwei Klassen in den A319-Jets mit insgesamt 82 Sitzen anbietet. Und auch die Italiener wollen sich jetzt in diesem Segment versuchen. Die zur Alitalia gehörende Chartergesellschaft EuroFly plant, mit A319-Jets von Rom und Mailand aus New York anzufliegen.


Quelle: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Nr. 46 vom 24.02.2005 Seite: R2 ­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ Ressort: Reiseblatt
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