China plant eigene Großflugzeuge
che. SINGAPUR, 6. Januar. China will in spätestens fünf Jahren mit der Entwicklung eigener Flugzeuge in größerem Maßstab beginnen. Der Bau einer Maschine mit 150 bis 200 Plätzen soll im nächsten Fünfjahresplan für die chinesische Luft- und Raumfahrtbranche oberste Priorität haben. Dies kündigte die für die Rüstungsindustrie verantwortliche staatliche Kommission für Wissenschaft, Technologie und die Verteidigungsindustrie an. Obwohl der abermalige Anstoß zum Aufbau einer eigenen Flugindustrie aus dem Rüstungssektor kommt, dürften neue Maschinen auch für die zivile Luftfahrt zum Einsatz kommen. China Aviation Industry Corp. I (Avic I), einer der großen Flugzeugkonzerne, hatte vor gut einem Jahr erklärt, der erste selbstentwickelte Regionaljet ARJ21 mit 80 bis 100 Sitzen werde Ende 2006 ausgeliefert werden. Branchenkenner erwarten, daß Peking die Flugzeugindustrie - trotz unterschiedlicher Voraussetzungen - mittelfristig nicht anders als etwa die Automobilindustrie steuern werde: Nach dem Lernen von den führenden ausländischen Herstellern steht die Förderung eigener Entwicklungsarbeit im Vordergrund. Ein Versuch in kleinerem Maßstab, durch die Übernahme von Fairchild Dornier durch die chinesischen D'Long Holding, ist zwar noch gescheitert. Nicht ausgeschlossen aber ist, daß China bei seinem Projekt künftig auch auf die Hilfe der europäischen Flugzeugindustrie zurückgreifen kann. Erst vor einem Monat hatte die Volksrepublik Airbus einen Großauftrag über 150 Flugzeuge erteilt und im Gegenzug die Verlagerung von Produktion nach China ausgehandelt (F.A.Z. vom 1. Dezember). Seitdem bemüht sich Airbus offiziell darum, Sorgen um einen zu großen Technologietransfer zu zerstreuen. Allerdings hatte der Airbus-China-Präsident Laurence Barron vor gut einem Jahr bei der Ankündigung des Baus eines Entwicklungszentrums der Europäer in Peking erklärt: "Wir wollen China in die Lage versetzen, einen Anteil von mindestens 10 Prozent zu künftigen Flugzeugentwicklungen beizusteuern." Direkte Lieferungen von Rüstungsgütern und damit auch Militärmaschinen sind weiterhin durch das Waffenembargo gegen China verboten - doch drängt Airbus seit Jahren auch auf die Aufhebung dieses Verbots, da China ein außerordentlich lukrativer Markt wäre. Mit 120 Millionen Fluggästen war das Reich der Mitte schon 2004 drittgrößter Markt für die zivile Luftfahrt nach Amerika und Europa. China braucht dringend neue Maschinen, die es derzeit bei den beiden konkurrierenden Herstellern Boeing und Airbus, die kleineren beim brasilianischen Hersteller Embraer einkaufen muß. Nach Regierungsschätzungen werden die festlandchinesischen Fluglinien in den nächsten zwei Dekaden fast 2300 neue Flugzeuge in einem Gesamtwert von gut 180 Milliarden Dollar kaufen. China braucht vor allem Mittelstreckenmaschinen, um den schnell wachsenden Inlandsverkehr zwischen die vier Regionen im hohen Norden, in der Hauptstadt Peking, um Schanghai und am Perlflußdelta vor Hongkong miteinander vernetzen zu können.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Druckausgabe vom 07. 01. 2006