Joschka Fischer's Schrecksekunde

Für alles, was nicht in andere Foren passt - (fast) alles ist erlaubt ...
Post Reply
LOWA
Administrator
Administrator
Posts: 16211
Joined: 3. Aug 2004, 21:26
Location: Österreich

Joschka Fischer's Schrecksekunde

Post by LOWA » 3. Feb 2005, 13:09

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" Nr. 28 vom 03.02.2005 Seite: 3 ­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ Ressort: Politik

BERLIN, 2. Februar. Im Anschluß an die Kabinettssitzung am Mittwoch hatte der Außenminister noch etwas mit dem Verteidigungsminister und dem Bundeskanzler zu besprechen. Anlaß war ein heftiger Schrecken gewesen, den Joschka Fischer am vergangenen Donnerstag hatte erleiden müssen. Da war er gerade vom Flughafen Berlin-Tegel aus in Richtung Griechenland gestartet, als Rauch in die Kabine drang, Sauerstoffmasken herunterfielen, der Pilot des "Challenger"-Flugzeugs der Flugbereitschaft der Bundeswehr den Notruf "Mayday, Mayday, Mayday!" absetzte und umkehrte. Bei der Landung standen die Löschfahrzeuge bereit, doch sie wurden nicht gebraucht. Grund für den Zwischenfall war, daß Enteisungsmittel in eine Hilfsturbine geraten war. Beim Start liefen die Turbinen auf vollen Touren, das Mittel verdampfte und wurde mit dem Luftstrom, der die Fahrgastkabine heizt, hineingeleitet.

Fischer, der sich knapp dem Tode entronnen gewähnt haben mag, sah sich veranlaßt, über den Zustand der Flugbereitschaft nachzudenken. Darüber sprach er mit Struck und Schröder. Das Gespräch war kurz. Struck sagte, er werde die Möglichkeit prüfen, ob sich die Flugbereitschaft auf ein Leasingmodell umstellen lasse. Doch auch ein solches Modell kommt um einen Sachverhalt nicht herum, den am Mittwoch der Regierungssprecher Langguth formulierte: "Neue Flugzeuge kosten Geld."

Die Flugbereitschaft hat eine recht kleine Flotte. Sie umfaßt sieben Airbus A 310, sechs "Challenger" CL-601 und drei Hubschrauber "Cougar", alle mehr oder weniger zwanzig Jahre alt. Die Challenger wurden in den Jahren 1985/86 unter Verteidigungsminister Wörner angeschafft. Schon da galt die Flotte der Flugbereitschaft mit ihren Boeing 707 und einigen noch älteren Flugzeugen als nicht zeitgemäß. Mit der Wiedervereinigung fiel der Bundeswehr dann nicht nur das Jagdflugzeug MiG-29 aus dem Bestand der Nationalen Volksarmee zu, das als eines der besten und modernsten seiner Art galt und inzwischen für einen symbolischen Euro pro Stück an Polen verkauft wurde. Sondern das Erbe umfaßte auch drei Airbus A 310 von der staatlichen Luftfahrtgesellschaft Interflug, die teils für Staatsbesuche Erich Honeckers umgebaut und ausgestattet worden waren. Nun wurde eine "Flottenbereinigung" vorgenommen, denn das bisherige Durcheinander verschiedenster Flugzeugtypen hatte einen hohen Aufwand für Ersatzteile und Ausbildung erfordert. Von der Lufthansa wurden gebrauchte, zu den "geerbten" Flugzeugen baugleiche Airbus gekauft.

Nun sind all diese Flugzeuge zwar nicht mehr neu, aber schrottreif sind sie auch keineswegs. Der Zwischenfall, der den Außenminister nun auf den Plan gerufen hat, war ja auch nicht auf einen technischen Defekt zurückzuführen, sondern auf einen Fehler des Bodenpersonals; allenfalls mag bei moderneren Flugzeugen hiergegen noch eine Sicherung eingebaut sein. Das Verteidigungsministerium gibt an, die "Einsatzverfügungsrate" liege bei 97 Prozent. Im Jahr 2003 hätten von 670 Flügen sechs wegen technischer Probleme abgesagt werden müssen. Insofern treffen auch die Unkenrufe aus der Opposition, wonach wegen der "überalterten" Flotte Unfälle drohten, nicht den Kern. Die Flotte der Flugbereitschaft ist keineswegs das älteste fliegende Gerät der Bundeswehr, das Alter kommt nur den Politikern, denen die Flugzeuge auch zur Verfügung stehen, eher zu Bewußtsein. Manch einer mag es sich auch als würdiger vorstellen, mit einem neuen Flugzeug im Ausland aufzutreten und bei der Gelegenheit Werbung für den europäischen Hersteller Airbus zu machen.

Ein Problem besteht aber: Die Flotte ist zu klein und wird stark beansprucht. Ursprünglich war die Flugbereitschaft vor allem für Truppentransporte eingerichtet worden. Soweit sie damit nicht ausgelastet war, stand sie den Politikern zur Verfügung. Dieser Auftrag der Flugbereitschaft ist aber mehr und mehr zentral geworden; vor allem die Challenger und die beiden Airbus-Maschinen in der "VIP"-Version, also mit eingebautem Büro, stehen dafür zur Verfügung. Anforderungsberechtigt sind Politiker vom Bundespräsidenten bis hin zu Bundestagsabgeordneten. Zugleich ist aber in den vergangenen fünfzehn Jahren durch die Auslandseinsätze auch die Anforderung durch die Bundeswehr selbst stark gestiegen. Nicht zuletzt wird derzeit stets ein Airbus, ausgerüstet als "MedEvac", für den sanitätsdienstlichen Notfall bereitgehalten. Daß es nun zu einem Umstieg auf ein Leasingmodell kommt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Welche Leasingfirma wäre imstande, zu einem günstigen Preis auch kurzfristig Flugzeuge zur Verfügung zu stellen oder hinzunehmen, daß Flüge in letzter Minute abgesagt werden? Und wie sähe dann der Versicherungsschutz aus, wenn in Gebieten gelandet werden müßte, in denen kein ziviler Flugverkehr stattfindet? Im Sinne des Konzepts der Flottenbereinigung könnte es sogar sinnvoll sein, gebrauchte, alte Flugzeuge dazuzukaufen, die zu den vorhandenen passen.
Glück ab, gut Land!

LOWA - Wien's einstiger Flughafen, 1912 - 1977

Post Reply