Rußland drängt in den EADS-Konzern
M.L./chs. MOSKAU/PARIS, 29. August. Die russische Außenhandelsbank in Staatsbesitz, Wneschtorgbank (WTB), hat seit dem Sommeranfang in mehreren Schritten am Aktienmarkt etwa 4,5 bis 4,8 Prozent der Aktien des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS zusammengekauft und dafür etwa eine Milliarde Dollar aufgewendet. Dies berichtete die russische Wirtschaftszeitung "Wedomosti" am Dienstag unter Berufung auf Gewährsleute der WTB und der EADS.
Ein EADS-Sprecher wollte zu der Meldung nicht Stellung nehmen. Auch WTB war zu keinem Kommentar bereit. Der EADS-Sprecher sagte, daß die Investoren zu einer Anmeldung ihrer Beteiligung verpflichtet seien, wenn sie die Schwelle von 5 Prozent überschritten. Die Aktie des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns stieg am gestrigen Dienstag zeitweise um mehr als 4 Prozent. Die russische Wirtschaftszeitung schrieb unter Berufung auf Gewährsleute aus dem Umfeld der WTB, daß die russische Bank den Kursverfall bei EADS genutzt habe, der sich im Juni durch die Ankündigung der abermaligen Verspätungen beim Airbus-Flugzeug A380 eingestellt hatte. WTB beabsichtige aber nicht, die EADS-Aktien nach einem Kursanstieg wieder zu verkaufen. Geplant sei vielmehr der Erwerb weiterer Aktien des Unternehmens. Vorgesehen sei, insgesamt 1,2 Milliarden Dollar aufzuwenden. Mittelfristig werde angestrebt, Einfluß auf die Unternehmensentscheidungen von EADS zu erlangen. Heute ist Daimler-Chrysler mit 22,3 Prozent größter Aktionär von EADS, gefolgt vom französischen Staat mit knapp 15 Prozent. Lagardère hat die Hälfte seiner Beteiligung auf Termin verkauft, so daß sein Anteil im nächsten Jahr auf 7,5 Prozent sinken wird. Die spanische Staatsholding Sepi hält gut 5,4 Prozent.
Altbundeskanzler Gerhard Schröder hatte Ende 2004 die Frage aufgebracht, ob EADS nicht 10 Prozent der Anteile an dem russischen Flugzeughersteller Irkut kaufen solle, und wenig später gesagt, daß es auch für Rußland die Möglichkeit einer Beteiligung von 10 bis 15 Prozent an EADS geben müsse. Im vergangenen Jahr erwarb EADS dann in der Tat 10 Prozent der Anteile von Irkut und hat dadurch nun die Möglichkeit, im Zuge eines Aktientausches an der geplanten russischen Luftfahrtholding beteiligt zu werden, zu der unter staatlicher Führung etwa zwanzig russische Unternehmen der Branche - darunter Irkut - zusammengeschlossen werden sollen.
EADS ist auf vielfältige Weise in Rußland engagiert. Vor allem die Tochtergesellschaft Airbus verspricht sich große Absatzchancen auf diesem wachsenden Markt. Nach Branchenschätzungen könnte Rußland zusammen mit den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken in den kommenden zwanzig Jahren 130 großräumige Passagierflugzeuge bestellen, was einem Auftragsvolumen von 19 Milliarden Dollar entsprechen würde. Die Beteiligung an Irkut versetzt EADS und Airbus in eine vorteilhafte Position gegenüber dem Erzrivalen Boeing, meinen russische Analysten, weil damit der Eintritt in die geplante russische Luftfahrtholding gesichert sei. Allerdings ist der amerikanische Flugzeughersteller in Rußland stärker im Teilebau und in Ingenieursdienstleistungen präsent. Rund 1200 Ingenieure arbeiten für Boeing in Moskau. Auch Airbus betreibt in der russischen Hauptstadt mit dem Konsortium Kaskol ein Ingenieurzentrum, in dem aber nur 120 Ingenieure beschäftigt sind. Die Russen haben bisher das Angebot abgelehnt, sich als Partner am Bau des Langstreckenflugzeugs A350 zu beteiligen. EADS sucht die Einbindung von Zulieferern, die zu zusätzlichen Bestellungen führen können, verlangt dafür aber auch eine beträchtliche finanzielle Beteiligung, die Rußland bisher offenbar scheut. Dafür liefern russische Unternehmen Teile für die Airbus-Modelle A380, A320 und A330/340. Neben Irkut ist die Gesellschaft Voronezh ein wichtiger Partner.
Die Kooperation mit Irkut hat sich in diesem Monat konkretisiert, als der russische Flugzeughersteller die Teileproduktion für die Airbus-Flugzeuge der Modellreihe A320 aufnahm. Er baut innerhalb eines Zehn-Jahres-Vertrages mit einem Wert von 200 Millionen Dollar vor allem Komponenten für den Rumpf sowie die Tragflächen der Flugzeuge. Es ist auch vorgesehen, daß Airbus zusammen mit Irkut eine Frachter-Version des A320 herstellt. EADS vermarktet zudem das Wasserflugzeug BE-200, das zum Löschen von Waldbränden eingesetzt werden kann, im Auftrag von Irkut in Europa und in asiatischen Ländern und übernimmt die Internationalisierung der Zertifizierung. Staaten wie Spanien, Italien und Portugal mit ihren hohen Sommertemperaturen sollen an der Maschine interessiert sein, die auf dem Wasser landen und dort große Mengen von Wasser aufnehmen kann. EADS vermarktet zudem im Auftrag von zwei russischen Unternehmen Trägerraketen zum Satellitentransport, darunter die bekannte Sojus-Rakete.
Quelle: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 30.08.2006